Wie wird man eigentlich ... Polarforscher?

Expeditionen, Kälte, Einsamkeit? Leben eines Polarforschers | Foto: Thinkstock/Dmitry Melnikov
"Man bekommt einen guten Eindruck, wie klein der Mensch ist"
UNICUM: Das sind meine Vorstellungen von der Arktis: Eis, Einsamkeit, Eis und Einsamkeit… Was bewegt einen dazu, Polarforscher zu werden?
Dr. Ingo Schewe: Was Polarforschung interessant macht, sind diese Extreme. Die unberührte Natur, die man in den Polargebieten vorfindet, die Weite, die Vielfältigkeit der Landschaft…. Und dann ist es, gerade in den hohen Breiten so, dass man ganz viele Nuancen des Wetters und auch des Lichts hat. Das heißt, wenn es leicht neblig ist oder die Sonne tief am Horizont steht, dann sieht das Eis immer wieder anders aus und das ist jedes Mal wieder faszinierend. Sobald ich ein paar Minuten frei habe, versuche ich an Deck zu gehen und mir das anzuschauen. Man bekommt in der Arktis einen guten Eindruck davon, wie klein man als Mensch ist und wie groß und bedeutend die Natur ist, in der man lebt und die wir erforschen wollen. Dazu kommt, dass man ein großes Erfolgserlebnis hat, wenn man eine Expedition wirklich erfolgreich abschließt. Unwahrscheinlich toll ist auch, dass wir in Gegenden kommen, wo nicht viele Menschen hinkommen. Alles zusammen macht unglaublich viel Spaß.
Ist ein Studium notwendig und in welchem Fachbereich sollte man es absolvieren?
Ja, ein Studium ist eine feste Voraussetzung, sofern man eine wissenschaftliche Fragestellung bearbeiten möchte. Es kann aber ganz vielfältig sein. Wir haben am AWI fast die komplette Bandbreite der Naturwissenschaften. Also über die Physik und Mathematik hin zu Chemie, Geologie oder Informatik. Wir haben hier auch sehr viele Ingenieure, die Geräte entwickeln und betreuen. Wenn man technisches Interesse hat und begabt ist, dann muss man nicht unbedingt ein naturwissenschaftliches Studium machen. Man kann also auch Ingenieur werden, um dann über diese Schiene in die Polarforschung reinzurutschen.
Was haben Sie studiert?
Ich hab im Grundstudium Biologie studiert und mich dann im Hauptstudium auf Meeresbiologie spezialisiert. Erst mit der Diplomarbeit, dem heutigen Master, und der Promotion habe ich mich auf polare Ökologie spezialisiert. Für die Polarforschung ist eine Promotion zwar nicht unbedingt notwendig, aber ratsam.
Polarforscher /-in

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"Man muss psychische Belastbarkeit mitbringen"
Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um an den Polen durchzuhalten?
Eine wichtige Voraussetzung ist Seefestigkeit. Das wäre zwar kein grundsätzlicher Hinderungsgrund, aber, wenn man weiß, man wird leicht seekrank, dann ist das schon für einen selber sehr beschwerlich, weil die Arbeit einfach nicht so zu schaffen ist, wie es sein sollte. Und es ist auch für die Mitfahrenden eine zusätzliche Belastung, da die quasi die Arbeit von einer anderen Person mit übernehmen müssen. Das andere ist, dass man natürlich eine gewisse psychische Belastbarkeit mitbringen muss. Man sitzt wochenlang auf so einem Schiff, auf sehr engem Raum und da muss man auch mal in der Lage sein, das Persönliche in den Hintergrund zu stellen. Das ist wichtig.
Lebt man die ganze Zeit nur auf dem Schiff oder gibt es auch feste Stationen?
Als Tiefseeforscher spielt sich der Expeditionsalltag nur auf dem Schiff ab, das sind dann die Schiffsexpeditionen. Aber wir haben auch feste Stationen, zum Beispiel in der Arktis, auf Spitzbergen, die AWIPEV. Da sind Wissenschaftler auch für längere Zeit. Biologen beispielsweise, die dort im Fjord tauchen gehen und Proben direkt an der Küste sammeln. Aber auch Physiker und Mathematiker, die Geräte betreuen und Atmosphärenforschung betreiben. Auf dem antarktischen Kontinent gibt es zum Beispiel die Neumayer-Station, wo Wissenschaftler auch überwintern und somit lange Wintermonate isoliert zurechtkommen müssen. Das kann natürlich noch mal eine ganz extreme Expeditionserfahrung sein. Dafür werden in erster Linie dann auch ganz gezielt Leute ausgesucht. Jedes Jahr laufen für solche Überwinterungskampagnen richtige Bewerbungsverfahren. Dafür kann man sich auch als Student bewerben, wenn man kurz vor dem Master steht und vielleicht sogar den Abschluss, bei der entsprechenden Fachrichtung, mit einer Überwinterung kombinieren möchte (z.B. Geo- oder Atmosphärenphysiker oder auch Chemiker, Ingenieure).
Wie lange dauert eine Fahrt mit dem Schiff durchschnittlich?
Ich bin auf einer Schiffsexpedition immer so vier bis sechs Wochen unterwegs, das gilt für die Arktis. Zur Antarktis kann die Expedition auch länger werden, zwischen sechs bis acht Wochen oder darüber hinaus.
Und mit wie vielen Leuten fährt man auf eine Expedition?
Wenn wir mit der "Polarstern" losfahren, dann sind wir in der Regel mit 35 bis 40 Wissenschaftlern an Board. Das hängt immer von den Expeditionen ab, es können auch mal mehr als 40 werden, wenn es eine stark gefragte Gegend ist, in die man fährt. Und nochmal so viele Personen passen als Besatzung aufs Schiff.
Gibt es vor der Expedition eine zusätzliche Ausbildung?
Das kommt darauf an, was man machen will. Möchte man in der Arktis aufs Eis gehen, dann bekommt man in der Regel noch ein Schießtraining, da man auch eine Eisbärwache stellen muss. Da ist es wichtig, dass die Wissenschaftler wissen, wie sie sich verhalten müssen. Aber allgemein ist eine Ausbildung für Arktisexpeditionen nicht dringend notwendig. Wenn man allerdings zur Antarktis auf eine Station fährt, steht vorweg eine ein- bis zweiwöchige Zusatzausbildung in den Alpen, auf einem Gletscher an. Es wird das typische Verhalten und Überleben in der extremen Kälte trainiert, auch Gruppentraining steht an. Da wird geprüft, wie die Gruppe sozial zusammenpasst. So kann es auch sein, dass einzelne Personen wieder aussortiert werden.
Wie sieht ein typischer Expeditionsarbeitsalltag eines Tiefseeforschers aus?
Da fange ich mal ganz vorne an. Eine Expedition ist mit viel Planung verbunden und somit fängt man im Grunde schon zwei Jahre vorher damit an. Man stellt einen Antrag, dass man auf einem Schiff mitfahren möchte und schreibt rein, welches Thema man wie bearbeiten möchte. Man sollte darin auch schon überschlagen, wie viel Schiffszeit und welche Geräte man unbedingt benötigt. Es gibt Leute, die Helikopter brauchen, um aufs Eis zu fliegen. Ich brauche Bodengreifer, um bestimmte Meeressedimente zu bekommen. Anschließend setzt man sich mit den andern Wissenschaftlern zusammen und macht gemeinsam eine Detailplanung. Das Schiff fährt letztendlich nach diesem Plan die Stationen ab. An den jeweiligen Stationen sind dann die Wissenschaftler gefragt, die Proben zu nehmen. Erst dort beginnt die eigentliche Arbeit. Wenn die Proben an Bord sind, werden sie in den Laboratorien, soweit wie möglich, weiterverarbeitet. Das kann manchmal mehrere Stunden dauern (12 bis 16 Stunden). Der Rest wird eingefroren oder in Alkohol eingelegt, um dann im Institut damit weiterarbeiten zu können.
Hat man denn auch Freizeit?
Grundsätzlich arbeitet man die Hälfte der Zeit, die man unterwegs ist. Die andere Hälfte hat man dann zur Erholung. Das kommt immer darauf an, wie weit die Stationen auseinander liegen. Wenn man im Sommer in den arktischen Ozean fährt, in die zentrale Arktis, dann ist es dort ständig hell. Das erleichtert unheimlich die Arbeit, da wir ja immer dann arbeiten müssen, wenn wir einen bestimmten Punkt erreicht haben und das ist unabhängig davon, ob es Tag oder Nacht ist.
"Im Prinzip kann jeder auf Expedition gehen"
Wie komme ich auf eine Expedition?
Möchte man ein eigenes Forschungsthema bearbeiten, läuft es in der Polarforschung so, dass man einen Antrag stellt, mit dem entsprechenden Thema und der nötigen Schiffszeit, bzw. Zeit auf der jeweiligen festen Station. Dann wird kontrolliert, wie die Anträge zusammenpassen und so wird der Fahrplan für das Schiff gemacht. Im Prinzip kann jeder auf Expedition gehen, der ein entsprechendes Forschungsthema vorlegt und den Fokus auf Polarforschung hat. Es kommt aber auch vor, dass FÖJ'ler (Freiwilliges Ökologisches Jahr) mit kommen und auch Nichtstudierte, wie biologisch oder chemisch technische Angestellte, fahren mit auf Expedition. Auch, wenn es nicht unbedingt im ersten Anlauf klappt, ist die Chance grundsätzlich groß, dass man mal auf eine Expedition mit kann. Die Kosten des Aufenthalts der Wissenschaftler und auch die der Gerätschaft trägt das AWI.
Wie oft fährt man durchschnittlich auf eine Expedition?
Ich bin, seit ich 1998 promoviert habe, mit dabei und war mittlerweile schon auf 15 oder 16 Expeditionen. Ich bin also fast jedes Jahr auf Expedition gefahren. Hin und wieder sind natürlich auch Jahre dazwischen, in denen ich am AWI bleibe, dann aber wieder Jahre, in denen ich dafür zwei Mal auf Expedition gehe.
Ist eine Expedition gefährlich?
Was passieren kann, und ich auch selber mal erlebt habe, dass man mit dem Schiff im Eis einfriert. Dabei geht so viel Druck vom Eis aus, dass es gar nicht mehr weiter fahren kann. Aber man hat immer soviel Proviant und Benzin am Bord, dass man dort mehrere Wochen und Monate überleben könnte, bis das Schiff wieder weiterfahren kann oder man schlimmsten Falles abgeholt wird.
Was genau machen Sie auf einer Expedition?
Wir haben westlich vor Spitzbergen den sogenannten Hausgarten, ein Tiefsee-Observatorium in der Arktis. Dort beschäftigen wir uns mit dem Klimawandel der Tiefsee im arktischen Ozean. Wenn man solche Forschung betreibt, muss man das schon sehr langanhaltend machen, also über viele Jahre hinweg, damit man überhaupt Änderungen identifizieren und überprüfen kann. Zum Beispiel, ob die Schwankungen mit dem Klimawandel zu tun haben oder durch andere Dinge verursacht werden. Ich betreibe als Ökologe aber auch ein Stück weit Grundlagenforschung. Ich ergründe wie die Prozesse der Tiefsee funktionieren. Also, wie Tiere auf Nahrungsmangel reagieren oder was passiert, wenn ein Kadaver eines größeren Tieres auf dem Meeresboden landet, wie wird er aufgearbeitet usw. Und so werden auch Experimente mit Tiefseerobotern gemacht. Das ist dieses Jahr wieder unser Forschungshintergrund.
Wollten Sie immer schon Tiefseeforscher werden?
Das kam erst mit der Zeit. Mein Ziel, als ich mit dem Studium angefangen habe, war es, Meeresbiologe zu werden. Das war schon ein Jugendtraum von mir. Ich komme gebürtig aus NRW und musste für das Studium nach Hamburg ziehen und hab somit, durch die nahe Küstenlage, auch früh begonnen, mich zu fokussieren. Im Hauptstudium hab ich dann Hydrobiologie und Fischereiwissenschaften studiert. Was immer vorteilhaft ist, wenn man schon einen gewissen Fokus hat, ist Kontakt mit Wissenschaftlern herzustellen, um so vielleicht an ein Praktikum zu kommen oder als studentische Hilfskraft arbeiten zu können. Ich war studentische Hilfskraft in einer Arbeitsgruppe und bin so auch in die Tiefseeforschung gerutscht, als ich erkannt habe, wie interessant das für mich ist. Denn vorher im Studium, als normaler Biologe, wird man nicht unbedingt mit Tiefseeforschung konfrontiert.
Haben Sie eine persönliche Geschichte, die Sie nie vergessen werden?
Ein besonders einschneidendes Erlebnis hatte ich schon in meiner Anfangszeit auf Expedition. Da hatte ich das Glück als einer der wenigen Wissenschaftler mal zum Nordpol fahren zu können und dort auch auszusteigen. Wir sind aufs Eis gegangen und standen auf einer Scholle am Nordpol. Das war für mich ganz besonders emotional tiefgreifend. Aber auch sonst ist für mich jede Expedition sehr tiefgreifend, weil mich diese Natur und diese Verhältnisse in den Polargebieten unwahrscheinlich faszinieren und immer einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Wenn ich auf eine Expedition gehe, dann gibt mir das immer etwas und das ist genau der Grund, wieso ich das studiert hab. Auf eine Expedition gehen, Feldforschung betreiben. Da ist es auch nicht so schlimm, wenn man dann wirklich das restliche Jahr über nur im Büro verbringt oder im Labor steht, um die Proben aufzuarbeiten und den Rest des Jahres doch nicht mehr so oft ins Feld kommt.
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